Die Bundesregierung plant aktuell im Rahmen des sogenannten Pflegekompetenzgesetzes (Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege) den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für bestimmte Personen bzw. Personengruppen ab 2026 zu verschärfen. Aus ihrer Sicht vorhandene Regelungslücken, die in der Vergangenheit missbräuchlich genutzt wurden (Stichwörter: Verstoß gegen das allgemeine Umgehungsverbot, missbräuchliche Rechtsgestaltung, auslegungsbedürftige Gesetzeslücke), um in die GKV zu wechseln, sollen geschlossen werden. Bereits unter der Ampel-Vorgängerregierung gab es in 2024 entsprechende Überlegungen dazu, siehe diesen Artikel. Komplett überraschend kommt das aktuelle Vorhaben also nicht, wenn auch die Kurzfristigkeit erstaunt, denn die Regelungen wurden erst vor der 2./3. Beratung im Bundestag zum Pflegekompetenzgesetz eingefügt und waren im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 08.09.2025 (BT-Drucksache 21/1511) noch nicht enthalten.
(Kein) Familienversicherungsanspruch bei Teilrentenbezug
Eine Neuregelung betrifft die beitragsfreie Familienversicherung. So soll es zukünftig nicht mehr möglich sein, durch das gezielte, temporäre Absenken des Rentenzahlbetrags (Teilrente, § 42 SGB VI) auf eine Höhe, die – zusammen mit ggf. anderem sonstigen zu berücksichtigendem Einkommen – die Gesamteinkommensgrenze nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V nicht regelmäßig im Monat überschreitet, einen Familienversicherungsanspruch auszulösen. Gemäß BT-Drucksache 21/2641 vom 05.11.2025 soll es dbzgl. zu folgender relevanter Ergänzung des § 10 Abs. 1 SGB V kommen:
Ehegatten und Lebenspartner sind abweichend von Satz 1 nicht versichert, wenn sie
- eine Rente wegen Alters als Teilrente in Anspruch nehmen,
- die in Satz 1 Nummer 5 genannte Voraussetzung nicht erfüllen würden, wenn sie die Rente stattdessen in voller Höhe in Anspruch nehmen würden und
- zuletzt vor Inanspruchnahme der Teilrente nicht gesetzlich krankenversichert waren.
Vor dem Bundessozialgericht ist noch die Rechtsfrage anhängig, ob nach bisherigem Recht eine Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung über den nur vorübergehenden Wechsel von einer Vollrente in eine Teilrente und die damit verbundene Durchführung einer Familienversicherung aufgrund Unterschreitens der Einkommensgrenze sowie der sich anschließenden obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Absatz 4 SGB V möglich ist (B 6a/12 KR 3/24 R (alt: B 12 KR 3/24 R); Vorinstanz: Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 5 KR 1336/23, 24.01.2024 & B 6a/12 KR 14/24 R (alt: B 12 KR 14/24 R); Vorinstanz: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, L 5 KR 45/24, 24.10.2024). Voraussichtlicher Entscheidungstermin ist der 10.12.2025.
In der Vergangenheit wurden solche „Gestaltungsmöglichkeiten“ mit der Teilrente häufiger genutzt, um verheiratete oder in eingetragener Lebenspartnerschaft lebende privat Krankenversicherte via Familienversicherung in die GKV zu bringen. Die Sozial- und Landessozialgerichte haben im Einzelfall dazu teils unterschiedlich geurteilt, auch abhängig davon, ob im Verwaltungsverfahren bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides angegeben wurde, wie lange die Teilrente bezogen und wann zur Vollrente zurückgehrt werden soll – unvorteilhaft war meist, dies einzuräumen (LSG Berlin-Brandenburg, 23.7.2024 – L 14 KR 129/24; LSG Baden-Württemberg, 24.1.2024 – L 5 KR 1336/23; SG München, 19.1.2023 – S 59 KR 649/22; LSG Bayern, 30.01.2024 – L 5 KR 364/23; SG Nürnberg, 30.10.2024 – S 14 KR 42/24; LSG Rheinland-Pfalz, 24.10.2024 – L 5 KR 45/24; SG Hannover, 06.01.2021 – S 95 KR 1666/20; SG Cottbus, 03.05.2022 – S 11 KR 126/22 ER). Der Gesetzgeber möchte diese aus seiner Sicht bestehende Regelungslücke nun von sich aus zum 01.01.2026 schließen, unabhängig davon, wie das BSG entscheidet.
Ausdrücklich zu betonen ist, dass die Familienversicherung weiterhin für die Mitversicherung des Ehegatten / Lebenspartners keine Altersgrenze vorsieht. Auch nach neuem Recht bestehen verschiedene andere Möglichkeiten für Privatkrankenversicherte über die Familienversicherung noch in die GKV zu wechseln. Renten der gesetzlichen Rentenversicherung werden beispielsweise nur auf Antrag erbracht. Hauptberuflich selbständige Erwerbstätige können die Selbständigkeit nachweislich reduzieren oder aufgeben und dadurch die Fami-Gesamteinkommensgrenze unterschreiten. Hier sind verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten weiterhin denkbar.
Fortgeltungsfiktion der Versicherungsfreiheit, Befreiung von der Versicherungspflicht und hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit
Die zweite relevante Neuregelung betrifft den § 6 Abs. 3a SGB V. Dabei handelt es sich um eine Rechtsnorm, die ausdrücklich nur auf Personen Anwendung findet, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres (also ab dem 55. Geburtstag) grundsätzlich einen Versicherungspflichttatbestand erfüllen – also bspw. somit den Familienversicherungsanspruch nach § 10 SGB V nicht tangiert. Diese, ansonsten eigentlich versicherungspflichtigen Personen sind versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert waren. Weitere Voraussetzung ist, dass sie mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig (hauptberuflich selbständig Erwerbstätige) waren.
Durch die Rechtsnorm soll zum Schutz der Solidargemeinschaft GKV sichergestellt werden, dass Personen, die versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder hauptberuflich selbstständig tätig waren, nicht zu diesem späten Zeitpunkt in ihrem Erwerbsleben von der privaten Krankenversicherung zurück in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln können, obwohl sie im vergangenen Fünfjahreszeitraum der Sphäre der privaten Krankenversicherung zuzuordnen waren, da keine ausreichende Beteiligung an der solidarischen Finanzierung der GKV stattgefunden hat.
Die Regelung des § 6 Abs. 3a SGB V wurde im Rahmen des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Gesundheitsreform 20002) mit Wirkung zum 1. Juli 2000 eingeführt. Vor dem Inkrafttreten von § 6 Abs. 3a SGB V konnten privat krankenversicherte Personen z. B. durch Veränderungen in der Höhe ihres Arbeitsentgelts, durch Übergang von Voll- in Teilzeitbeschäftigung oder von selbstständiger Tätigkeit in eine abhängige Beschäftigung auch dann Pflichtmitglied in der GKV werden, wenn sie vorher zu keinem Zeitpunkt einen eigenen Beitrag zu den Solidarlasten geleistet hatten. Auf diesem Weg wechselten im Zeitraum von 1992 bis 1997 circa 943.000 Personen von der PKV in die GKV. In der Gesetzesbegründung wird darauf verwiesen, dass die Leistungsausgaben für ältere Versicherte ihre Beiträge im Regelfall erheblich überstiegen und die Beitragszahler durch diesen Wechsel zwischen den Versicherungssystemen unzumutbar belastet würden. Mit der Festsetzung der Altersgrenze auf 55 Jahre sollte dieser Tatsache Rechnung getragen werden.
Zu dieser Abgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am 19. April 2024 (Az. L 1 KR 441/21) entschieden, dass die weitere Voraussetzung in § 6 Absatz 3a Satz 2 „mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig“ dem Wortlaut nach auf den in § 6 Absatz 3a Satz 1 enthaltenen Fünfjahreszeitraum zu beziehen ist, der mit Eintritt der Versicherungspflicht endet und nicht mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Diese Auslegung hat zur Folge, dass die Aufnahme einer bspw. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung frühestens zweieinhalb Jahre nach dem durch das Ausscheiden aus dem Berufsleben bedingten Ende der Versicherungsfreiheit, dem Ende einer hauptberuflichen selbstständigen Erwerbstätigkeit (nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig) oder dem Wegfall einer Befreiung von der Versicherungspflicht einen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnet. Die Person war dann nämlich zwar die letzten 5 Jahre nicht gesetzlich krankenversichert, erfüllte aber nicht die weiteren Voraussetzungen nach Satz 2, weil bspw. eine hauptberuflich selbständige Erwerbstätigkeit vor (seit mehr als) 2,5 Jahren beendet wurde, und wurde so versicherungspflichtig in der GKV (in dem Fall als Beschäftigter nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Eine solche Aushöhlung der grundsätzlichen Systemabgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung entsprach nicht der Intention des Gesetzgebers.
Im Hinblick auf die Rechtsprechung soll eine neue Regelung Abhilfe schaffen. Nach dieser wirkt für Zwecke der Voraussetzung des Satzes 2 eine nach Vollendung des 55. Lebensjahres wegfallende Versicherungsfreiheit, Befreiung von der Versicherungspflicht oder hauptberufliche selbstständige Erwerbstätigkeit (nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig) fort. Grundsätzlich haben sich diese Personen (weiterhin) in der privaten Krankenversicherung abzusichern. Für der privaten Krankenversicherung zugeordnete Personen besteht dabei Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif.
Umgehung des § 6 Abs. 3a SGB V durch zwischen- / überstaatliches Recht
Wenn in Deutschland privat Krankenversicherte aufgrund über- / zwischenstaatlichem Recht der Anwendung ausländischer Rechtsvorschriften unterfallen und in der Folge im Ausland gesetzlich krankenversichert werden, erhielten diese Personen bei anschließender Wiederanwendung deutscher Rechtsvorschriften auch in Deutschland aufgrund der Sachverhaltsgleichstellung nach Art. 5 VO (EG) 883/2004 uneingeschränkten Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn kein vorrangiger Versicherungspflichttatbestand vorlag, gelang dies beispielsweise bei ausreichend Vorversicherungszeit im Ausland über eine freiwillige Versicherung (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 SGB V) oder auch nachrangig mit einer Vorversicherungszeit von bereits einem Tag über die Auffangversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V.
Während der Zugang zur GKV über die freiwillige Versicherung in diesem Zusammenhang nicht verschärft wird, soll nun jedoch bei vorliegenden Versicherungspflichttatbeständen, analog zu § 6 Abs. 3a SGB V, auf den Versicherungsstatus vor Begründung der ausländischen Versicherung geschaut werden (neu eingeführter § 6 Abs. 3b SGB V). Dies jedoch nur bei Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres eine ausländische Absicherung im Krankheitsfall begründet haben. Lag in den 5 Jahren vor Begründung der ausländischen Versicherung keine gesetzliche Versicherung vor und war die Person mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig, tritt keine Versicherungspflicht mehr ein. Die systembedingten Einschränkungen bei der Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung (wie § 6 Abs. 3a SGB V) sollen durch Vorschriften des zwischen- /supranationalen Rechts nicht mehr umgangen werden können. Ein Aufenthalt im Ausland soll nach dem Willen des Gesetzgebers weder zu einer Benachteiligung noch zu einer Bevorzugung im Vergleich zu durchgängig im Inland Versicherten führen.
§ 6 Abs. 3b SGB V: Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres eine Absicherung im Krankheitsfall begründen, die nach zwischenstaatlichen oder supranationalen Vorschriften einer Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichgestellt ist, sind, auch wenn sie nach Begründung dieser Absicherung im Krankheitsfall nach diesem Buch versicherungspflichtig werden, versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor der Begründung dieser Absicherung im Krankheitsfall nicht gesetzlich versichert waren und mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig waren. Absatz 3a Satz 4 gilt entsprechend.
Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Der Deutsche Bundestag hat in seiner 37. Sitzung am 6. November 2025 aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichtes des Ausschusses für Gesundheit – Drucksache 21/2641 – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf – Drucksachen 21/1511, 21/1935 – angenommen. Der Gesetzesentwurf bedarf keiner Zustimmung durch den Bundesrat (Drucksache 365/25 > besonders eilbedürftig).
Der Bundesrat hat das Pflegekompetenzgesetz in seiner Plenarsitzung am 21.11.2025 jedoch zunächst gestoppt, indem es den Vermittlungsausschuss angerufen hat, wie es bei Einspruchsgesetzen grundsätzlich möglich ist. Der Bundesrat begründet die Anrufung mit dem geplanten Aussetzen der Meistbegünstigungsklausel bei der Vergütung der Krankenhäuser für das Jahr 2026 und möchte daher Artikel 13a aus dem Gesetz gestrichen haben. Wann der Vermittlungsausschuss zusammentrifft, ist noch unklar.
Der Bundesrat hat am 19.12.2025 noch eine weitere reguläre Plenarsitzung in diesem Kalenderjahr 2025, wo dann über das Vorhaben neu entschieden werden könnte. Bei einer Billigung, kann das Gesetz verkündet werden und in Kraft treten. Beschließt der Bundesrat mit der absoluten Mehrheit (Mehrheit der Mitglieder) seiner Stimmen jedoch Einspruch einzulegen, kann der Einspruch anschließend nur mit der absoluten Mehrheit im Bundestag (Mehrheit der Mitglieder = Kanzlermehrheit) überstimmt werden. Legt der Bundesrat den Einspruch sogar mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ein, müssen für die Zurückweisung des Einspruchs im Bundestag zwei Drittel der abgegebenen Stimmen zusammen kommen, mindestens jedoch die Stimmen der Hälfte aller Mitglieder. Anderenfalls ist das Gesetz gescheitert.